Entscheidung

Entscheidung Nr. 2011-217 QPC vom 3. Februar 2012

Herr Mohammed Akli B. [Rechtswidrige Einreise und Aufenthalt in Frankreich]

Der Verfassungsrat ist am 23. November 2011 gemäß den von Artikel 61-1 der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen vom Kassationsgerichtshof (Erster Zivilsenat, Beschluss Nr. 1252 vom 23. November 2011) bezüglich einer von Herrn Mohammed Akli B. erhobenen vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit angerufen worden, welche die Frage der Vereinbarkeit von Artikel L. 621-1 des Gesetzbuches über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sowie über das Asylrecht mit den von der Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten zum Gegenstand hat.

DER VERFASSUNGSRAT,

Unter Bezugnahme auf die Verfassung;

Unter Bezugnahme auf die geänderte gesetzesvertretende Verordnung Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, Verfassungsergänzungsgesetz über den Verfassungsrat;

Unter Bezugnahme auf das Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sowie über das Asylrecht;

Unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger;

Unter Bezugnahme auf die Geschäftsordnung vom 4. Februar 2010 über das Verfahren vor dem Verfassungsrat bei vorrangigen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit;

Unter Bezugnahme auf die für die als Nebenintervenienten auftretende Vereinigung „SOS soutien ô sans papiers“ von Herrn RA Henri Braun, Rechtsanwalt der Anwaltskammer von Paris, und Frau RAin Nawel Gafsia, Rechtsanwältin der Anwaltskammer des Departements Val-de-Marne, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am 8. Dezember 2011;

Unter Bezugnahme auf die für die als Nebenintervenienten auftretende Vereinigung „Groupe d'information et de soutien des immigrés“ (GISTI) von Herrn RA Stéphane Maugendre, Rechtsanwalt der Anwaltskammer des Departements Seine-Saint-Denis, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am 13. Dezember 2011;

Unter Bezugnahme auf die für die als Nebenintervenienten auftretende Vereinigung „Comité Inter-Mouvements Auprès des Evacués“ (CIMADE) von Herrn RA Patrice Spinosi, beim Staatsrat und beim Kassationsgerichtshof zugelassener Anwalt, eingereichte Stellungnahme, eingetragen am 14. Dezember 2011;

Unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des Premierministers, eingetragen am 15. Dezember 2011 und am 3. Januar 2012;

Unter Bezugnahme auf die zu den Verfahrensakten gegebenen Unterlagen;

Nachdem Herr RA Julien Gautier, Rechtsanwalt der Anwaltskammer des Departements Hauts-de-Seine für den Antragsteller, Herr RA Braun für die Vereinigung „SOS soutien ô sans papiers“, Herr RA Maugendre für die GISTI und Herr RA Spinosi für die CIMADE, sowie Herr Xavier Pottier, Beauftragter des Premierministers, im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2012 gehört worden sind;

Nachdem der Berichterstatter gehört worden ist;

  1. In Erwägung dessen, dass der Artikel L. 621-1 des Gesetzbuches über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sowie über das Asylrecht lautet: „Ein Ausländer, der nach Frankreich eingereist ist oder sich dort aufhält, ohne seinen Verpflichtungen nach Artikel L. 211-1 und L. 311-1 nachgekommen zu sein, oder der sich nach Ablauf seines Visums weiterhin in Frankreich aufhält, wird mit einem Jahr Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 3.750 € bestraft.
    „Das Gericht kann darüber hinaus für eine Dauer von bis zu drei Jahren ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen diesen Ausländer verfügen. Das Aufenthaltsverbot bewirkt von Rechts wegen die Abschiebung des Verurteilten, gegebenenfalls nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe“;

  2. In Erwägung dessen, dass der Antragsteller und die Nebenintervenienten behaupten, die angegriffene Vorschrift verstoße, indem sie rechtswidrig nach Frankreich eingereiste oder sich dort rechtswidrig aufhaltende Nicht-EU-Ausländer nur deshalb, weil solche Personen sich ohne berechtigten Grund weiterhin in Frankreich aufhalten, mit einer Freiheitsstrafe bestraft, im Hinblick auf die oben genannte Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 gegen den von Artikel 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 geschützten Grundsatz der Notwendigkeit der Strafe;

  3. In Erwägung dessen, dass, zum einen, die Rüge, eine gesetzliche Bestimmung sei mit den völker- und europarechtlichen Verpflichtungen Frankreichs unvereinbar, nicht als Begründung für die Verfassungswidrigkeit einer solchen Bestimmung herangezogen werden kann; dass es infolgedessen dem auf der Grundlage von Artikel 61-1 der Verfassung angerufenen Verfassungsrat nicht obliegt, die Vereinbarkeit der angegriffenen Vorschrift mit den Verträgen oder dem Recht der Europäischen Union zu prüfen; dass die Prüfung einer solchen Rüge den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten obliegt;

  4. In Erwägung dessen, dass Artikel 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789 lautet: „Das Gesetz soll nur solche Strafen festsetzen, die offensichtlich unbedingt notwendig sind“; dass Artikel 61-1 der Verfassung dem Verfassungsrat keinen allgemeinen Wertungs- und Gestaltungsspielraum wie den des Parlaments eröffnet, sondern ihm lediglich die Zuständigkeit überträgt, über die Vereinbarkeit von gesetzlichen Bestimmungen, welche ihm zur Prüfung vorgelegt werden, mit den von der Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten zu befinden; dass wenngleich die Frage der Notwendigkeit der Strafen für bestimmte Straftaten in den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers fällt, so obliegt es dem Verfassungsrat zu gewährleisten, dass die angedrohte Strafe nicht offensichtlich unverhältnismäßig im Vergleich zu der begangenen Straftat ist;

  5. In Erwägung dessen, dass die angegriffene Vorschrift vorsieht, dass ein Ausländer, der nach Frankreich eingereist ist oder sich dort aufhält, ohne seinen Verpflichtungen nach Artikel L. 211-1 und L. 311-1 des Gesetzbuches über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sowie über das Asylrecht nachzukommen, oder der sich nach Ablauf seines Visums weiterhin in Frankreich aufhält, mit einem Jahr Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 3.750 € bestraft wird; dass das zuständige Gericht darüber hinaus für eine Dauer von bis zu drei Jahren ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen diesen Ausländer verfügen kann, welches von Rechts wegen die Abschiebung des Verurteilten bewirkt, gegebenenfalls nachdem dieser seine Freiheitsstrafe verbüßt hat; dass diese Strafen, in Anbetracht der Art des Tatbestandes, den sie ahnden sollen, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind und den Artikel 8 der Erklärung von 1789 nicht verletzen;

  6. In Erwägung dessen, dass die angegriffene Vorschrift auch nicht gegen andere von der Verfassung verbürgte Rechte und Freiheiten verstößt,

ENTSCHEIDET:

Artikel 1 - Der Artikel L. 621-1 des Gesetzbuches über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, sowie über das Asylrecht ist verfassungskonform.

Artikel 2 - Diese Entscheidung wird im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht und gemäß den Vorschriften des Artikels 23-11 der oben genannten gesetzesvertretenden Verordnung vom 7. November 1958 zugestellt.

Beschlossen durch den Verfassungsrat in seiner Sitzung vom 2. Februar 2012, an der teilgenommen haben die Damen und Herren Jean-Louis DEBRÉ, Präsident, Jacques BARROT, Claire BAZY MALAURIE, Guy CANIVET, Michel CHARASSE, Renaud DENOIX de SAINT MARC, Jacqueline de GUILLENCHMIDT, Hubert HAENEL und Pierre STEINMETZ.

Veröffentlicht am 3. Februar 2012.

Les abstracts

  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.23. PRINCIPES DE DROIT PÉNAL ET DE PROCÉDURE PÉNALE
  • 4.23.3. Principes de nécessité et de proportionnalité
  • 4.23.3.1. Nature du contrôle du Conseil constitutionnel
  • 4.23.3.1.1. Contrôle de l'erreur manifeste d'appréciation

L'article 8 de la Déclaration des droits de l'homme et du citoyen de 1789 dispose : " La loi ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires ". L'article 61-1 de la Constitution ne confère pas au Conseil constitutionnel un pouvoir général d'appréciation et de décision de même nature que celui du Parlement, mais lui donne seulement compétence pour se prononcer sur la conformité des dispositions législatives soumises à son examen aux droits et libertés que la Constitution garantit. Si la nécessité des peines attachées aux infractions relève du pouvoir d'appréciation du législateur, il incombe au Conseil constitutionnel de s'assurer de l'absence de disproportion manifeste entre l'infraction et la peine encourue.

(2011-217 QPC, 03 Februar 2012, cons. 4, Journal officiel du 4 février 2012, page 2076, texte n° 68)
  • 4. DROITS ET LIBERTÉS
  • 4.23. PRINCIPES DE DROIT PÉNAL ET DE PROCÉDURE PÉNALE
  • 4.23.3. Principes de nécessité et de proportionnalité
  • 4.23.3.2. Absence de méconnaissance des principes de nécessité et de proportionnalité des peines
  • 4.23.3.2.1. Détermination des infractions et des peines

En vertu de l'article L. 621-1 du code de l'entrée et du séjour des étrangers et du droit d'asile, l'étranger qui a pénétré ou séjourné en France sans se conformer aux dispositions des articles L. 211-1 et L. 311-1 du même code ou qui s'est maintenu en France au-delà de la durée autorisée par son visa sera puni d'un emprisonnement d'un an et d'une amende de 3 750 €. La juridiction pourra, en outre, interdire à l'étranger condamné, pendant une durée qui ne peut excéder trois ans, de pénétrer ou de séjourner en France, cette interdiction du territoire emportant, de plein droit, reconduite du condamné à la frontière, le cas échéant à l'expiration de la peine d'emprisonnement. Eu égard à la nature de l'incrimination pour laquelle elles sont instituées, les peines ainsi fixées, qui ne sont pas manifestement disproportionnées, ne méconnaissent pas l'article 8 de la Déclaration de 1789.

(2011-217 QPC, 03 Februar 2012, cons. 5, Journal officiel du 4 février 2012, page 2076, texte n° 68)
  • 7. DROIT INTERNATIONAL ET DROIT DE L'UNION EUROPÉENNE
  • 7.3. TRAITÉS ET ACCORDS INTERNATIONAUX EN VIGUEUR
  • 7.3.3. Compétence du Conseil constitutionnel
  • 7.3.3.1. Incompétence de principe du Conseil constitutionnel pour contrôler la conventionalité des lois

Un grief tiré du défaut de compatibilité d'une disposition législative aux engagements internationaux et européens de la France ne saurait être regardé comme un grief d'inconstitutionnalité. Par suite, il n'appartient pas au Conseil constitutionnel, saisi en application de l'article 61-1 de la Constitution, d'examiner la compatibilité des dispositions contestées avec les traités ou le droit de l'Union européenne. L'examen d'un tel grief relève de la compétence des juridictions administratives et judiciaires.

(2011-217 QPC, 03 Februar 2012, cons. 3, Journal officiel du 4 février 2012, page 2076, texte n° 68)
À voir aussi sur le site : Communiqué de presse, Commentaire, Dossier documentaire, Décision de renvoi Cass., Références doctrinales, Vidéo de la séance.