Entscheidung Nr. 2010-613 DC vom 7. Oktober 2010
Der Verfassungsrat ist am 14. September 2010 vom Präsidenten der Nationalversammlung und vom Präsidenten des Senates gemäß Artikel 61 Absatz 2 der Verfassung bezüglich des Gesetzes zum Verbot der Verbergung des Gesichtes im öffentlichen Raum angerufen worden.
DER VERFASSUNGSRAT,
Unter Bezugnahme auf die Verfassung;
Unter Bezugnahme auf die geänderte gesetzesvertretende Verordnung Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, Verfassungsergänzungsgesetz über den Verfassungsrat;
Nachdem der Berichterstatter gehört worden ist;
- In Erwägung dessen, dass der Präsident der Nationalversammlung und der Präsident des Senates dem Verfassungsrat das Gesetz zum Verbot der Verbergung des Gesichtes im öffentlichen Raum zur Prüfung vorlegen; dass sie keine spezifischen Rügen gegen dieses Gesetz vortragen;
- In Erwägung dessen, dass Artikel 1 des zur Prüfung vorgelegten Gesetzes bestimmt: „Im öffentlichen Raum darf niemand ein Kleidungsstück tragen, dessen Zweck die Verbergung des Gesichtes ist“; dass Artikel 2 des Gesetzes näher ausführt: „I. Der öffentliche Raum im Sinne des Artikels 1 besteht aus den öffentlichen Straßen, sowie aus den der Öffentlichkeit zugänglichen oder einem öffentlichen Dienst dienenden Örtlichkeiten. - II. Das in Artikel 1 vorgesehene Verbot findet keine Anwendung, wenn das Kleidungsstück durch gesetzliche oder verordnungsrechtliche Bestimmungen vorgeschrieben oder erlaubt ist, wenn das Tragen eines solchen Kleidungsstückes aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus beruflichen Gründen gerechtfertigt ist, oder wenn das Tragen eines derartigen Kleidungsstückes im Rahmen sportlicher oder festlicher Aktivitäten oder künstlerischer oder traditioneller Veranstaltungen erfolgt“; dass Artikel 3 des Gesetzes einen Verstoß gegen das in Artikel 1 enthaltene Verbot mit einem Bußgeld für Ordnungswidrigkeiten nach Klasse 2 ahndet;
- In Erwägung dessen, dass Artikel 4 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789 bestimmt: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden“; dass ihr Artikel 5 lautet: „Das Gesetz darf nur Handlungen, die der Gesellschaft schädlich sind, verbieten. Alles, was nicht durch Gesetz verboten ist, kann nicht verhindert werden, und niemand kann gezwungen werden zu tun, was es nicht befiehlt“; dass ihr Artikel 10 vorschreibt: „Niemand soll wegen seiner Meinungen, selbst religiöser Art, beunruhigt werden, solange ihre Äußerung nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stört“; dass schließlich der dritte Absatz der Präambel der Verfassung von 1946 lautet: „Das Gesetz sichert der Frau in allen Bereichen die gleichen
Rechte wie dem Manne zu“;
- In Erwägung dessen, dass die Artikel 1 und 2 des zur Prüfung vorgelegten Gesetzes eine Antwort auf das Auftreten bestimmter, bislang außergewöhnlicher Praktiken darstellen soll, welche darin bestehen, im öffentlichen Raum sein Gesicht zu verbergen; dass solche Praktiken nach der Beurteilung des Gesetzgebers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen können und die Mindestgebote des gesellschaftlichen Zusammenlebens verletzen; dass der Gesetzgeber auch die Auffassung vertritt, dass Frauen, welche freiwillig oder unfreiwillig ihr Gesicht verbergen, sich in einer Situation befinden, in der sie ausgeschlossen und unterlegen sind, und dass eine derartige Situation offenkundig mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Freiheit und der Gleichheit unvereinbar ist; dass der Gesetzgeber mit dem Erlass der zur Prüfung vorgelegten Bestimmungen Vorschriften, die bislang zum Zwecke des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf einzelne Sachlagen beschränkt waren, vervollständigt und ihnen allgemeine Geltung verschafft hat;
- In Erwägung dessen, dass der Gesetzgeber, in Anbetracht der von ihm verfolgten Ziele und unter Berücksichtigung der Strafe, die er für den Fall der Missachtung der von ihm bestimmten Vorschrift vorgesehen hat, Bestimmungen erlassen hat, welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einerseits und die Gewährleistung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte andererseits auf eine Art und Weise miteinander in Einklang bringen, die nicht offensichtlich unverhältnismäßig ist; dass das Verbot, im öffentlichen Raum sein Gesicht zu verbergen, jedoch nicht die Ausübung der Religionsfreiheit in den der Öffentlichkeit zugänglichen Sakralbauten einschränken darf, ansonsten läge ein übermäßiger Eingriff in Artikel 10 der Erklärung von 1789 vor; dass unter diesem Vorbehalt die Artikel 1 bis 3 des zur Prüfung vorgelegten Gesetzes nicht verfassungswidrig sind;
- In Erwägung dessen, dass Artikel 4 des zur Prüfung vorgelegten Gesetzes, welcher den Tatbestand, einen Dritten dazu zu zwingen, sein Gesicht zu verbergen, mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe von 30.000 € ahndet, sowie die Artikel 5 bis 7, welche das Inkrafttreten und die Anwendung des Gesetzes regeln, nicht verfassungswidrig sind,
ENTSCHEIDET:
Artikel 1.- Unter dem in der Erwägung 5 zum Ausdruck gebrachten Vorbehalt ist das Gesetz zum Verbot der Verbergung des Gesichtes im öffentlichen Raum verfassungsgemäß.
Artikel 2.- Diese Entscheidung wird im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht.
Beschlossen durch den Verfassungsrat in seiner Sitzung vom 7. Oktober 2010, an der teilgenommen haben die Damen und Herren Jean-Louis DEBRÉ, Präsident, Jacques BARROT, Claire BAZY MALAURIE, Guy CANIVET, Michel CHARASSE, Jacques CHIRAC, Renaud DENOIX de SAINT MARC, Valéry GISCARD d’ESTAING, Jacqueline
de GUILLENCHMIDT und Pierre STEINMETZ.
Les abstracts
- 4. DROITS ET LIBERTÉS
- 4.19. LIBERTÉ PERSONNELLE
4.19.3. Liberté personnelle et police administrative
Eu égard aux objectifs qu'il s'est assignés et compte tenu de la nature de la peine instituée en cas de méconnaissance de la règle fixée par lui, le législateur a adopté des dispositions qui assurent, entre la sauvegarde de l'ordre public et la garantie des droits constitutionnellement protégés, une conciliation qui n'est pas manifestement disproportionnée. Toutefois, l'interdiction de dissimuler son visage dans l'espace public ne saurait, sans porter une atteinte excessive à l'article 10 de la Déclaration de 1789, restreindre l'exercice de la liberté religieuse dans les lieux de culte ouverts au public. Réserve.
- 11. CONSEIL CONSTITUTIONNEL ET CONTENTIEUX DES NORMES
- 11.7. EXAMEN DE LA CONSTITUTIONNALITÉ
- 11.7.2. Conditions de prise en compte d'éléments extrinsèques au texte de la loi
- 11.7.2.2. Référence aux travaux préparatoires
11.7.2.2.3. Référence aux travaux préparatoires de la loi déférée
Pour examiner la loi interdisant la dissimulation du visage dans l'espace public, le Conseil constitutionnel s'est référé à l'intention du législateur.
- 11. CONSEIL CONSTITUTIONNEL ET CONTENTIEUX DES NORMES
- 11.7. EXAMEN DE LA CONSTITUTIONNALITÉ
- 11.7.3. Étendue du contrôle
- 11.7.3.3. Intensité du contrôle du juge
- 11.7.3.3.1. Contrôle restreint
11.7.3.3.1.1. Contrôle de l'erreur manifeste
Eu égard aux objectifs qu'il s'est assignés et compte tenu de la nature de la peine instituée en cas de méconnaissance de la règle fixée par lui, le législateur a adopté des dispositions qui assurent, entre la sauvegarde de l'ordre public et la garantie des droits constitutionnellement protégés, une conciliation qui n'est pas manifestement disproportionnée.
- 16. RÉSERVES D'INTERPRÉTATION
- 16.20. ORDRE PUBLIC ET DROIT PÉNAL
16.20.10. Loi interdisant la dissimulation du visage dans l'espace public (loi n° 2010-1192 du 11 octobre 2010)
Eu égard aux objectifs qu'il s'est assignés et compte tenu de la nature de la peine instituée en cas de méconnaissance de la règle fixée par lui, le législateur a adopté des dispositions qui assurent, entre la sauvegarde de l'ordre public et la garantie des droits constitutionnellement protégés, une conciliation qui n'est pas manifestement disproportionnée. Toutefois, l'interdiction de dissimuler son visage dans l'espace public ne saurait, sans porter une atteinte excessive à l'article 10 de la Déclaration de 1789, restreindre l'exercice de la liberté religieuse dans les lieux de culte ouverts au public. Sous cette réserve, les articles 1er à 3 de la loi interdisant la dissimulation du visage dans l'espace public ne sont pas contraires à la Constitution.